Florian Havemann

KARIN

Film

KARIN
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    15. März, 2025

    20 Uhr

    Kino Brotfabrik

    Caligariplatz 1, 13089 Berlin

     

    KARIN 

    Premiere am 12. Januar 2025 im Kino Babylon 

     

    Florian Havemann

    Danksagung – wie man so sagt. Danke sagen, das will auch ich. Dank an Kiki, meine Tochter Ingrid, ihre beiden Geschwister, Caroline und Gabriel, all meine drei Kinder, Lars, von dem ich glaube, er ist mein Freund geworden, mehr als nur der Kameramann, ohne ihn würde es den Film nicht geben, ein Organisator auch, Leiter der Produktion, Omri Peled, der Könner, der Zauberer mit den Farben, bei Martin Knispel, dem Studienfreund von Lars, bei seiner Postproduktionsfirma perDU beschäftigt, Daniel Brenner, ein Filmkomponist, mit dem zusammen ich die Musik gestalten konnte, die Musik von Franz Bargmann, Alexander Heinze, der im vierten Teil bei den Tonaufnahmen zu sehen ist, dann die Tonmischung gemacht hat – andere Filme haben hundert Beteiligte und mehr, wir waren nur acht. Mit mir neun, und ich wusste gar nicht, wie mir geschieht, dass sie alle bereit waren, mit mir zusammenzuarbeiten, einem Amateur, mit vielleicht zu vielen Ideen, die Fachleute dennoch bereit, sie alle auszuprobieren, einen Weg zu finden, wie sie umgesetzt werden könnten. Für mich die Vergewisserung, ich bin nicht der, den viele in mir sehen, nicht der, der ich gezwungen bin zu sein. Havemann in seinem Gehäuse, der Einzelkämpfer, der einsame Wolf mit seinem Geheul, ausgestoßen aus dem Rudel, abgelehnt, nicht anerkannt, nicht gesellschaftsfähig oder was. Ich kann auch anders, ich wusste es doch. 

    Begonnen haben wir mit dem Film vor etwas mehr als zwei Jahren, im Herbst 2022. Nur Ingrid, Lars und ich, und Lars wusste nicht, auf was er sich einlässt. Begonnen haben wir mit den Aufnahmen zum dritten Teil. Danach erst habe ich das Drehbuch für den ersten Teil geschrieben, der diesen Teil mit Ingrid als Karin im Carl-Legien-Viertel erst verständlich macht. Und nachdem wir diese beiden Teile montiert und geschnitten hatten, wurde mir klar, ich brauche da noch etwas dazwischen, diesen Weg von meinem Laden in der Erich-Weinert-Straße bis zu Franz Bargmann im U-Bahnhof Schönleinstraße. Dort bin ich ihm begegnet, ich wohne da am Kottbusser Damm, und dort habe ich ihn zum ersten Mal spielen gehört. Sofort elektrisiert von seiner Musik, als ich aus der U-Bahn stieg, spät am Abend, kurz vor 12 Uhr in der Nacht, und zum Glück hatte ich mein Tablett dabei, das ich als Fotoapparat benutze, als Videokamera. Ich habe dann in den Tagen und Wochen danach noch ein paar mehr solcher Videoaufnahmen von Franz gemacht, wir sind miteinander ins Gespräch gekommen, wir haben uns angefreundet, und Franz hat dann diese erste Aufnahme von mir, die, in der ich die Rolltreppe hochfahre, und oben angekommen, danach suche, wo ist der, der diese Musik macht, ins Internet gestellt. Sie ist bei YouTube zu entdecken, und hat dann viele Nachahmer gefunden. Ist schon sehr lange her. 1. November 2014 – kann man bei YouTube nachschauen. Musste ich auch nachschauen, wie lange das her ist. Zehn Jahre, und das ist ja auch ein Thema, etwas, um das es in dem Film immer wieder geht: wie die Zeit vergeht. Und vielleicht geht meine Zeit auch bald vorbei, und ich werde nur diesen einen Film gemacht haben können. Einer ist zwar, der endet in Stunden nicht, und sicher gehöre ich zu denen, die viel zu erzählen haben, aber so lang ist der Abend nicht, dass wir das alles durchgehen könnten, diese vielen Absagen, Projekte, die ins Leere laufen, und manchmal komme ich mir doch wie ein Schiff vor, eine stolze Fregatte, eine vielleicht zu stolze, die im Hafen festgemacht liegt und niemals auf das große Meer hinaussegeln konnte. Freunde & Friends, ohne den Verlag keine KARIN, ohne den Mäzen aus New York nicht, den reichen Amerikaner, Albert Wenger, mit dem ich nur einmal ganz kurz am Rande, wir hatten ja noch vieles andere zu besprechen, über KARIN gesprochen habe, dass ich diesen Film jetzt gerne machen würde, dafür Geld brauche. OK, mach! Ich konnte doch gar nicht absehen, was wird das kosten, ich bin ein Amateur, ich hätte niemals einen Kostenplan aufstellen können. Ein Budget. Meine Arbeitsweise ist auch nicht danach. Kein Plan, mehr intuitiv, meinen Einfällen folgend. Und manchmal braucht es Zeit, braucht es lange, bis ich weiß, in diese Richtung geht es. Oder ich sehe zwei Wege oder mehr, und da hilft dann nur: ausprobieren. Eine ungefähre Skizze, ein sehr roher Rohschnitt. Ich bin nicht jemand, der sich was ausdenkt. Ich weiß auch nicht, was es ist, was das werden soll, was ich mir da vorgenommen habe, dass ich´s mache. Suchen. Abwarten, bis die Lösung kommt. Es niemand erklären müssen, es so richtig auch nicht erklären können, was soll das, und vielleicht dämmert mir jetzt, was ich da gemacht habe. Jetzt, wo ich mit dem Film fertig bin. Melancholisch deswegen. Abschied nehmen von diesem Projekt. Und auch das Bild ist fertig geworden, das mit dem blauen Haus, an dem man mich im Film malen sieht. Es kommen keine Befehle mehr. Dank also, großen Dank an Albert Wenger, den Finanzier des Films, Dank dafür, dass ich ihm nichts groß erklären musste, was habe ich da vor, Dank für die Zeit – zwei Jahre. In denen ich jedoch auch sehr viel anderes zu tun hatte. Einen Verlag leiten. Und so weiter. Zwei Jahre: ist das lang für einen Film oder ist das kurz? Jedenfalls habe ich nicht eine Minute dieser zwei Jahre damit verbringen müssen, Förderungsanträge zu schreiben, ein Treatment vorzulegen, ein Konzept zu entwickeln, über ein ungelegtes Ei reden zu müssen, bei dem ich nicht wusste, was brüte ich da aus. 

    Ich lebe so dahin, und es ist das ein sehr regelmäßiges Leben, jeden Abend, fast jeden Abend, zum Malen in die Erich-Weinert-Straße, ins Carl-Legien-Viertel, die Hälfte der Strecke mit der U-Bahn, die andere mit der Straßenbahn. Seit Jahren schon, und es ist das etwas, das ich in diesem Film vermitteln wollte, das Vergehen von Zeit, Lebenszeit, kein Drama, das Drama spielt sich in diesem Vergehen von Zeit ab, und mit einem Mal ändert sich doch alles. Deshalb diese Wiederholungen im ersten Teil, auch die im zweiten Teil – wie oft bin ich diesen Weg bis zum Alex mit der Straßenbahn gefahren, dann in die U-Bahn eingestiegen, bevor ich dann auf Franz Bargmann und seine Musik gestoßen bin. Mein großer Dank an ihn, dafür, dass ich seine Musik in meinen Film integrieren konnte, er auch zu Aufnahmen im Studio von Daniel Brenner bereit war, dazu auch, uns diese Aufnahmen, die meisten nur kurze Loops, zu überlassen, damit wir daraus diese 45 Minuten Musik machen konnten, passend zu den Bildern. Dank auch an Lars Lenski, den Kameramann, der glaubte, es ist das eine kleine Sache, die ich vorhatte, auf die er sich, ohne mich zu kennen, eingelassen hat. Wir haben uns gleich am ersten Drehtag so gut verstanden, dass wir ganz schnell von einem Drehort zum anderen im Carl-Legien-Viertel wandern konnten. Dann habe ich Lars gefragt, ob er da jemand kennt, für den Schnitt, die Montage des Films, und Lars hat mir geantwortet: Nein, das Material geben wir nicht weg, wir schneiden es selber, wir wissen, worum es geht, warum da jemand dazu holen, dem wir´s erst erklären müssen, der es vielleicht dann doch nicht versteht. Lars, der Kameramann, hat für meinen Film das Schneiden, Montieren gelernt, die technische Seite davon, und ich habe von ihm soviel darüber gelernt, wie zu schneiden ist, damit da ein Fluß entsteht, der immer weiterträgt. Und Lars hat auch von mir etwas gelernt: wie unterschiedlich doch die Herangehensweise bei Videoaufnahmen ist – die Aufgabe war dann die, beides, sein Filmmaterial mit meinen Videos zusammenzubringen. 

    Dank natürlich auch, ganz großen Dank, an Ingrid, an Kiki, meine Tochter, ohne die es diesen Film niemals gegeben hätte. Für die ich eigentlich diesen Film gemacht habe. Um ihre Kunst festzuhalten, ihre Präsenz bei der Pantomime, von der sie herkommt, die Intensität, mit der sie an eine neue Aufgabe herangeht. Sie gehört auf die Bühne, deshalb sage ich es ja auch am Ende des ersten Teils von KARIN, ich hab kein Theater für dich. Dann lass uns einen Film machen, der Film als Theaterersatz, und vielleicht dann doch besser, als die Bühne. Ein Film über Karin, damit man sich an sie erinnert. Mehr ist das vielleicht gar nicht, die Botschaft des Films: dass man sich erinnert. An einen Menschen. An einen Menschen wie Karin, eine Frau, die ich gekannt habe, aber nur weniges, was ich von ihr weiß. Eine Frau, die sich umgebracht, ihrem Leben ein Ende gesetzt hat. Reicht doch aus, ist Grund genug. Oder wollen wir immer nur über die schon berühmten Leute reden, und die anderen, die vielen anderen kümmern uns nicht. Es geht das aber nicht, einen Film über das Leben und Sterben von Karin, über ihren Selbstmord zu machen, wie man sonst so Filme macht. Kein Drama, nicht das Ausschütten von emotionalen Badewannen, keine Hollywood-Dramaturgie mit ihren Helden, ihren Höhepunkten, kein Leben, das sich zu Szenen verdichten ließe, zuviel Wiederholung des Immergleichen, nichts, was objektiv und von außen dargestellt werden kann. Ohne mich dabei geht´s nicht, diese Karin ist meine Karin. Und dann wurde sie zu der von Kiki, von Ingrid, und ich hatte ihr da gar nicht reinzureden, ich hätte nur sagen können: nein, das ist sie nicht, so war Karin nicht. Es ist ihre Karin, die Karin im Film. Ich habe ihr nur gesagt: geh mal da lang, lehn dich an diese Wand und dann kippst du zur Seite um. Setz dich vor dieses silbern glitzernde Auto an diesem elenden Bassin. Den Strumpf hat sie dann aus dem trüben Wasser gefischt. Volles Vertrauen. Sie wird es schaffen, wird sich eine Figur erschaffen. Die Karin ist, aber auch überhaupt nicht Karin ist, nicht die Karin, die gelebt hat, aber dann doch die Karin geworden ist, die ich gekannt habe. Die an ihre Stelle getreten ist. Und jetzt gibt es sie in dem Film. Wenn ich jetzt meinen Hut auf hätte, ich würde ihn ziehen müssen, Danke Ingrid, Chapeau. 

    Wenn ich hier meine Danksagung zu Ende bringen will, dann fehlt da noch ein Name – Carl Legien, nein, denn nach ihm, dem Gewerkschaftsführer, ist das Carl-Legien-Viertel nur benannt, die Wohnstatt Carl Legien, Ende der 20er Jahre von der GEHAG erbaut, einer gemeinnützigen Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft der Gewerkschaft, und Carl Legien war der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, 1920 verstorben, entworfen wurde diese Siedlung von Bruno Taut, und ihm muss mein Dank gelten. Meine Arbeitsräume in der Erich-Weinert-Straße, früher mal ein Friseursalon, und deshalb diese lange, 8 Meter lange Wand, das Viertel, in dem Karin gelebt hat, in dem sie zu Hause und unterwegs war – der Handlungsort im ersten und im dritten Teil des Films, und in diesem dritten Teil mehr noch als nur ein Handlungsort, in dem sich Karin bewegt, ein Kontrepart zu ihr, die dort nur gelebt, aber nicht seine Schönheit erkannt, sie nicht bemerkt hat. Es ist eine schöne Wohngegend, ich wohne da zwar nicht, aber ich bin dort fast jeden Tag, und ich sehe es ja, ich habe es vor Augen, und auch wenn ich an der Architektur der Moderne vieles auszusetzen und zu kritisieren habe, diese Siedlung, das ist schon gut gemacht, auf eine eigene Art edel, Bruno Taut, er hatte Sinn für Proportionen, und er war auch nicht der Meinung, es ginge an, das gleiche Haus einfach mehrmals nebeneinander zu stellen, und das war´s dann, ohne alle Variationen, aber Karin hat dort nur gewohnt, sie hat es nicht gesehen, eigentlich ist das schön, und sie muss doch Sinn für Ästhetik gehabt haben, für Schönheit, sonst hätten ihr doch meine Bilder nicht gefallen. Ein Mensch im Konflikt mit seiner Umwelt, und natürlich ist es die Menschenwelt, mit der Menschen in Konflikte geraten, aber diese Konflikte, sie können eine Dimension annehmen, in die dann alles mit hineingezogen wird. Auch ich habe dies schon erlebt, so gelebt, so verfinstert, und die Sonne schien doch so schön, die Bäume lächelten mich an, und ich habe nicht zurück gelächelt, und ich habe mich dann in Karin wieder erkannt. Ich rede über meine Motive, und das sollte ich vielleicht besser nicht tun, wo es doch dann ganz konkret wird, als Auswahl von Motiven für Bilder, für die Kamera. Meine Leidenschaft galt lange, zu lange dem Theater, eine Liebe, die vom Theaterbetrieb nicht erwidert wurde. Der Film für mich eine Fortsetzung des Theaters mit anderen Mitteln, aber doch auch mehr noch, etwas ganz anderes als das Theater. Es ist das auf einer Bühne nicht möglich, dass sich eine Figur im Gegensatz zu dem Bühnenbild befindet, es einfach ignoriert, jedenfalls nicht für den Zuschauer. Im Film geht dies, ich habe es jedenfalls versucht, vielleicht ist es gelungen, vielleicht aber auch nicht, diesen Eindruck zu vermitteln, Karin gehört dorthin, das ist ihre Welt, aber sie gehört dort auch nicht hin, sie gehört nirgendwohin – außer vielleicht zu Aldi. Und also sei auch Aldi gedankt, Rewe und dem dm-Markt, diesem Parkplatz an der Ostseestraße, ein Schrecken, zu dem Karin gepasst hat.

    Man sieht´s ja wohl, unübersehbar der Film eines Malers, und das jetzt nicht nur, weil man ja irgendwann mitbekommt, dieser Mann, der in seinem Atelier an diesem einen Bild malt, Besuch von seiner Tochter bekommt, dieser Havemann, das ist auch der, der diesen Film gemacht hat. Der Zusammenhang zwischen meinen gemalten Bildern und den Bildern im Film, den Einstellungen, der Kadrierung, dürfte offensichtlich sein. Ich habe ja auch vor dem Film über Jahre hinweg erst fotografiert, dann Videoaufnahmen gemacht, und auch auf diesem Gebiet, in dem die Technik so eine große Rolle spielt, nach meinen Bildern gesucht. Aber auch ein Film mit Musik, ein Musik-Film, der dritte Teil nur Bilder und Musik, über 40 Minuten lang, und im zweiten Teil, wenn die Straßenbahn am Alexanderplatz, an der Kreuzung Karl-Liebknecht- Ecke Memhardstraße stoppt, ein Moment wahrscheinlich, an dem sich der Betrachter entscheiden muss, spätestens dann, lasse ich mich auf diese Bilder ein, kommt die Musik von Bargmann dazu, und es wird von ihm Musik bis zum Schluss des Filmes geben, man entrinnt ihr nicht mehr, und natürlich hoffe ich darauf, dass nicht nur mir diese Musik von ihm gefällt. Sonst wäre es ja eine Qual, für den, der sie ablehnt. Und auch vorher schon, im ersten Teil, und am Ende, im vierten Teil kommt es dann wieder, diese rudimentäre Musik, die ich selber mache, der Trommler ohne Trommeln, Percussion alles Art. Tischkanten, Keksdosen, Scherben, Gläser, die Innereien eines Klaviers, ein Gong, ein Tablett – alles was sich so anbietet, zur Hand ist. Ein Film mit sehr viel Musik, aber mehr noch: ein Film, in dem die musikalische Form einer Sonate erkennbar ist. Ein Stück in vier Sätzen, ein Film in vier Teilen, auch in der Charakteristik dieser vier Teile wiederzuerkennen. Und nimmt man diese vier Teil von KARIN für sich, sind auch in ihnen wieder musikalische Formen erkennbar. Am Deutlichsten sicher im dritten Teil, die Konzertform, schnell, langsam, schnell, am Ende noch mehr Power als im ersten Abschnitt. Der erste Teil in der Rondoform, die im vierten Teil wiederkehrt, der zweite Teil mehr eine eigene Erfindung, die mehrmalige Wiederholung des fast immer Gleichen, nur Variierten, diese Straßenbahnfahrten, bis es zu einem Durchbruch zu etwas anderem kommt, zu dieser einen Fahrt mit der U-Bahn, an dessen Ende dann Bargmann im U-Bahnhof Schönleinstraße nicht mehr nur zu hören, sondern endlich auch zu sehen ist. Warum aber diese Orientierung an musikalischen Formen? Natürlich auch, weil sie mehr sind als nur Formen, leere Formen, in die alles zu packen ist, wozu man Lust hat, weil in diese Formen nicht alles hineinpasst, weil es Formen für bestimmte, wenn auch schwer in Worte zu fassende Inhalte sind. Musikalisches Denken, kein begriffliches. Formgesetz, das, lässt man sich darauf ein, dann auch erfüllt werden muss. Deshalb dann dieser vierte Teil des Films, nach dem ich lange gesucht habe, von dem ich wusste, es muss ihn geben. Die Tendenz war durch das vorangegangene vorgegeben, es musste aber noch etwas Neues geben, ein Finale, in dem nicht nur die Dinge, die einzelnen Elemente zusammengeführt werden müssen, die Filmbilder, die Kombination von Bild und Musik, die Sprache, das gesprochene Wort, das Szenische, in dem es dann noch einmal auf eine andere Ebene gehen muss, hier bei KARIN in sie hinein, in ihre Denkweise, ihre Weltsicht. Und an einen anderen Ort, der mit ihr und ihrem Tod verbunden ist, dorthin, auf dem großen Parkplatz von Aldi, Rewe und dm an der Ostseestraße. Der vierte Satz einer Sinfonie, wir haben es bei Beethoven, bei seiner 9. Sinfonie, aber auch bei Gustav Mahler, bei dem es dann plötzlich zur Instrumentalmusik Chöre gibt, der Schritt in eine andere Dimension – nur gibt es bei Karin nichts zu feiern, die Menschheit ob ihrer Menschlichkeit zu feiern. Wirklich nicht. Der Rückgriff auf musikalische Formen, weil es bei Karin zwar Geschichten zu erzählen gibt, aber nicht die eine klare Geschichte, von einem Leben nicht zu erzählen ist, dass zu einer Lebensgeschichte wird. Schon die Therapie macht dies unmöglich, das staatliche Eingreifen verhindert eine Geschichte mit Anfang, Konflikt, Steigerung, Klimax, Auflösung am Ende, der Selbstmord ist keine Lösung, er zeigt an, dass es keine Lösung gibt. Das Problem kann beseitigt werden, sich selber aus dem Scheißspiel nehmen. Der letzte Ausweg für einen Menschen, sich selber auszuradieren, aber auch Karin hätte sich nicht umbringen müssen. Finito, ein selbstgewähltes Ende, ein Schlusstrich, mit dem sie ihr Leben, sich selber definiert. Meiner Auffassung nach nicht darzustellen, es ist dann eben doch zu wenig, was man von einem Menschen wissen kann. Jedes Detail, das man erfährt, ändert dann doch das ganze Bild. Eine Frage der Moral, hier etwas nicht zu zeigen, nicht darstellen, nicht nachspielen zu wollen, das nicht, den Selbstmord nicht. Ich wollte ja noch nicht mal diesen Lastwagen von Aldi aufnehmen, unter den sie sich geworfen hat, hat gleiten lassen, wer weiß es, ich nicht. Aber wir waren beim Drehen des vierten Teils, am Ende angelangt, eigentlich fertig, und dann kam dieser Lastwagen aufs Gelände gefahren, die Kamera stand noch am richtigen Platz, fast, und dann ging es gar nicht anders: wir mussten es aufnehmen. Und dann in den Film hineinnehmen. Es wäre nicht möglich gewesen, es nicht zu tun. Feigheit auch, ein Zurückschrecken. Nur das noch, weiter jedoch nicht. 

    Ich praktiziere die Willkür wie eine Religion.

    Ich habe Alfred Hitchcock, von dem ich meine, von ihm habe ich eigentlich am Meisten über Dramaturgie gelernt, immer gerne mit diesem Satz zitiert, wenn ich mit meinen Mitstreitern über KARIN gesprochen habe, besonders über den vierten Teil. Ich habe aber da nochmal nachgeschaut, in dem Buch von Truffaut mit dem Interview, das er mit Hitchcock über alle seine Filme geführt hat, und dort heißt es dann, ich korrigiere mich: 

    Ich praktiziere das Absurde wie eine Religion.

    Das mit dem Absurden, es klingt mehr nach den 50er Jahren, ein damals sehr angesagter Begriff, so oft und von so vielen Leuten bei zu vielen Gelegenheiten benutzt, dass wir und vielleicht sogar sie selber irgendwann nicht mehr wussten, was sie damit gemeint haben. Und was weiß ich, der unverbesserliche Atheist, was für den Katholiken Hitchcock die Religion gewesen ist, die christlichen Mythen, die theologischen Glaubensinhalte, die Heilsgeschichte, der strenge Ritus, die Messe, eigentlich nichts, und der Gläubige würde mir sagen, ohne zu glauben, kannst du´s auch nicht verstehen, weil´s eben nicht verstandesgemäß ist. 

    Ich streiche also das Originalzitat von Hitchcock mit dem Absurden, streiche auch meine Fassung so zusammen, dass nur noch ein Wort, ein Begriff übrigbleibt: die Willkür. Und diese nun waltet im ganzen Film, ganz besonders im letzten, im vierten Teil, aber sie waltet nicht irgendwie, ich habe sie allein zu verantworten. Der Willkürherrscher, das bin ich, kein Diktator, nur ein Filmdirektor, ich bin es, der der Realität Gewalt antut, von der wir naiv annehmen würden, eine Kamera, ein Mikrophon würde sie einfangen. Ich habe Helfershelfer gehabt, Lars beim Schnitt, der Montage, Omri Peled beim Colour Grading, bei dem wir Farbveränderungen in vielen Aufnahmen vorgenommen haben, die nicht mehr ihrem Realismus zugutekommen, sondern willkürlich erscheinen müssen, ich habe meine Willkür schon ins Drehbuch hineingeschrieben, in die Szenen bereits des ersten Teiles, besonders stark in die Szene, die wir Dialog+ genannt haben, in der die direkt vorangegangene noch einmal ganz anders erscheint. Es sind die Zeitsprünge, die die vergehende Zeit dehnen, es sind die Videoaufnahmen, in denen ich die Videokamera in ihrer technischen Unvollkommenheit verrückt spielen lasse, und dann wähle ich aus, was mir gefällt, und vielleicht nur mir allein, und natürlich ist auch der vierte Teil mit seinen elf Stationen sowas von unrealistisch, einfach nur inszeniert, der Herr Havemann hat Einfälle, und lässt sie völlig gedankenlos gelten, er probiert sie einfach aus. Sie passen oder sie passen nicht, sie erscheinen mir als passend, ich bin der Maßstab. Ich kann argumentieren, soviel ich will, und das tue ich auch, oft auch für andere überzeugend, aber im Moment der Entscheidung zählt allein mein künstlerischer Wille. Aber, noch einmal Aber, ich bin nicht ganz und gar unmoralisch dabei, die Moral allerdings ist hier eine künstlerische. Vorsicht Film, aber keine versteckte Kamera, die Kamera immer wieder mit im Bild, und auch der Mann für die Tonaufnahmen, Alexander Heinze, läuft mit seiner Mikrophon-Angel ins Bild, der Regisseur taucht nicht nur auf, er spielt mit, ich verstecke mich nicht, ich bleibe keine unsichtbare, keine verborgende Macht. Eitler Fatzke – kann man so sehen. Eine höchstmoralische Angelegenheit – so kann man es aber auch sehen, und nur, wer´s so sieht, kann meinem Film Glauben schenken, ohne diesen Glauben versteht man´s nicht. 

    Gründe? Natürlich habe ich Gründe, ich bin kein Idiot. Und ich habe den wichtigsten Grund schon genannt: keine Geschichte. Aber was dann? Auge und Ohr, der Betrachter entscheidet, das Publikum. Ich habe meine Sache gemacht. KARIN, der Film, so könnte man glauben, erzähle die Geschichte von dieser Karin, aber dem ist nicht so. KARIN, das ist sicher ein Film über Karin, aber es ist kein Film, der die Geschichte von Karin zeigt, sie in Szenen und Stationen darstellt. Wie man das so macht im Kino. Chronologisch oder mit Rückblenden. Nicht der Film erzählt sie, die Geschichte von Karin, eine Figur in dem Film ist es, die diese Geschichte erzählt. Ich bin es, ich erzähle die Geschichte von Karin, das, was ich von dieser Geschichte weiß, und soviel ist das nicht. Ich erzähle sie auch nicht so, nicht chronologisch einmal durch, von Anfang bis Ende, bis zu ihrem Selbstmord. Ich erzähle von ihr, wie es war, wenn sie mich in meinen Arbeitsräumen in der Erich-Weinert-Straße besucht hat, ich erzähle dann davon, wie sie sich umgebracht hat, ich erzähle davon, was sie für ein Mensch gewesen ist, und in der vorletzten Szene des ersten Teils gebe ich das wieder, was sie mir von ihrer Kindheit erzählt. Ein Puzzle, dessen Teil man sich zusammensetzen muss, in dem Lücken bleiben, und nicht anders hat Karin von sich, von ihrem Leben erzählt. Mit der Geschichte von Karin, soweit ich von ihr weiß, sind mit dem Ende des ersten Teils durch. Und dann beginnt mit dem zweiten Teil etwas anderes, und der dritte Teil ist dann wieder etwas anderes, der vierte dann noch einmal. Ein Film in Teilen, die sich stilistisch deutlich voneinander unterscheiden, Teile, die man sich auch anders ansehen muss, und natürlich heißt dies für die, die sich den Film ansehen, dass sie sich jedesmal beim Beginn des nächsten Teiles auf etwas Neues einlassen müssen. Das gelingt oder gelingt nicht, und gelingt es einem Betrachter des Filmes nicht, dann ist er draußen, dann beginnt er sich womöglich zu ärgern, und dann kommen der altbekannte Einwand, zu lang, und natürlich ist das immer zu lang, wenn man nicht folgen kann, etwas nicht versteht, wenn etwas den eigenen Horizont übersteigt. 

    KARIN, der Film handelt, so könnte man sagen, von zwei Menschen, Vater und Tochter, die sich mit dieser Karin beschäftigen, und sich dann, beide sind Künstler, werden als solche auch vorgestellt, dazu entschließen, gemeinsam etwas zu machen, um an Karin zu erinnern, einen Film. Der doppelte Boden dabei: in dem Moment, wo sie sich dazu entschließen, läuft dieser Film schon seit einer Stunde. Ingrid und ich, wir kommen dann darauf, dass wir da noch jemanden brauchen, einen dritten Künstler, den Musiker Franz Bargmann, um diesen Film zu machen. Ohne Musik geht es nicht. Töne und Bilder, die Musik so stark, dass sie mehr ist als Filmmusik sonst. Keine Begleitmusik, kein Klangteppich, der ausgerollt wird, nichts, um eine emotionale Badewanne zum Überlaufen zu bringen. Zwei Künstler, meine Tochter und ich, die auf diese Karin kommen, in unseren Gesprächen, wenn sie mich in der Erich-Weinert-Straße besucht, die Verbindung ist gegeben, Vater und Tochter, die zu Bargmann war es nicht. Um mit Franz Bargmann in einer Verbindung zu kommen, überhaupt zu wissen, dass es ihn gibt, um seine Musik kennenzulernen, musste ich jahrelang mit der Straßenbahn fahren, nachts, kurz vor 12, immer wieder die gleichen Straßenbahnfahrten, mal stumpf, mal lesend, mich ablenkend, manchmal auch wach mit offenen Augen, ganz oft mein Tablett mit dabei, das ich als Kamera benutze, für Fotos und Videoaufnahmen. Die Wiederholungen der Besuche von Ingrid bei mir in der Hütte finden ihre Fortsetzung in den wiederholten Straßenbahnfahrten, das, was ich über meine Bilder sage, lässt sich auf die Aufnahmen im zweiten Teil übertragen, bis hin zu der Formel, auf der ich so sehr herumreite: The soul of the city in the mind of the people – nun bekommt man die Stadt zu sehen, und auch die Menschen, die in ihr leben, und zu denen dann auch der einsame Franz Bargmann im U-Bahnhof Schönleinstraße gehört. 

    Wenn es heutzutage eine Dokumentation zu sehen gibt, und selbst bei Spielfilmen habe ich schon so etwas gefunden, in denen es um einen Menschen geht, der sich umgebracht hat, und dieser Selbstmord kann Jahrzehnte, Jahrhunderte vor unserer und damit zu einer ganz anderen Zeit geschehen sein, dann folgt am Ende nach dem Abspann ein gutgemeinter Hinweis, wo man sich denn melden und Hilfe bekommen könnte, denkt man selber daran, sich umzubringen. Nach dem Ende von KARIN gibt es einen solchen Hinweis nicht, ich habe ihn unterlassen. Ich sah mich dazu verpflichtet, in Rücksicht auf die Karin, die ich kannte, die sich umgebracht hat. Sie ist austherapiert worden. Ihr war nicht mehr zu helfen. Die Würde des Menschen ist antastbar. Auch die des Menschen, der nicht mehr lebt, weil er seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Für Karin vergeht die Zeit nicht mehr. Ihre Lebenszeit gehört der Vergangenheit an. Sie hat den Zeitpunkt selbst bestimmt, an dem ihre Gegenwart enden sollte. Ich wollte ihrem Entschluss im Nachhinein die Würde nicht nehmen, und damit ihr nicht. Der russische Dichter Velimir Chlebnikow, ein Futurist aus der Zeit der letzten Jahrhundertwende, hat gesagt, er wolle nicht, dass die Kunst einem Trupp von Selbstmördern voranmarschiert. Ich würde es auch nicht wollen, deshalb dieser Film über eine Selbstmörderin. Der 12. Januar, das Jahr 2025, der Tag der Premiere von KARIN, mein Geburtstag, dieses Geschenk wollte ich mir gemacht haben. Ich bin heute 73 Jahre alt geworden. KARIN, mein erster Film. Vielleicht schon der Letzte. Vielleicht der einzige Film, den ich habe machen können. Den wollte ich gemacht haben, angesichts dieser düsteren Aussichten. 

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